Ich will nur noch kurz… lass mich nur noch schnell…

Beobachte einmal wie oft du am Tag ,,Nur noch schnell…“ ,,Ich will nur kurz…“ ,,Ich erledige noch mal eben…“ sagst. Sätze, die wir ständig sagen, wenn wir glauben, Kontrolle über die Zeit zu haben. Wir sagen sie, ohne darüber nachzudenken. Zwischendurch, im Vorbeigehen, mit einem halben Atemzug. Sie klingen harmlos – fast liebevoll vertraut. Wenn wir glauben, dass „kurz“, „eben“ oder „schnell“ wirklich so funktionieren, wie sie klingen.

Doch hinter ihnen steckt ein ganzes Lebensgefühl: die ständige Eile, das unbewusste Rennen gegen etwas, das wir nie einholen werden.
Durch Dinge wie Mails, Nachrichten , TV, Social Media und Push Nachrichten verarbeitet unser Gehirn heute am Tag mehr Informationen als ein Mensch vor 100 Jahren im Monat. Dadurch kommt es zu keiner Verarbeitungsphase und alles bleibt nur oberflächlich hängen. Das führt zu Konzentrationsproblemen, mentaler Erschöpfung und Entscheidungsmüdigkeit. Wir springen ständig zwischen Themen hin und her ohne sie wirklich wahr zu nehmen. Gerade auf Social Media haben wir innerhalb von Sekunden einen so extremen Themenwechsel vollzogen, sodass wir uns nicht daran erinnern können, was wir gesehen haben.

Always On: Wie Erreichbarkeit unsere Aufmerksamkeit frisst

Keine klaren Grenzen. Arbeit, Freizeit und Kommunikation verschmelzen. Die Last der Dauerverfügbarkeit.
Ständige Erreichbarkeit wird noch immer als Engagement gefeiert und durch WhatsApp, Mail und Smartphones immer einfacher.

Menschen am Handy im Dauerzustand, Dauerrausch

,,Kann nächste Woche jemand für mich einspringen?“
,,Hast du das Projekt an XY gesendet?“
,,Denkst du bitte morgen an…?“

Ob im Urlaub, an Sonntagen oder einfach am Feierabend, wir sind immer und überall erreichbar. Und das gilt nicht nur für die Arbeit. Auch im sozialen und privaten Leben sind wir ständig erreichbar und können uns Rund um die Uhr austauschen, was wir Oma zum Geburtstag schenken wollen, dass das Kind neue Gummistiefel für die Kita braucht und wir daran erinnert werden, dass wir doch die Umfrage vergessen haben, um die wir uns doch eigentlich kümmern wollten. Haben wir unser Smartphone in der Tasche, den Laptop immer wieder aufgeklappt und checken zum neunten Mal unsere Mails, ist unser Nervensystem im Dauer – Alarmzustand ohne Erholungsphasen. Forscher*innen nennen diesen Zustand ,,Technostress“ – permanenter im Hintergrund laufender Stress durch Geräte, Apps und Benachrichtigungen.
Aber wer erreichbar bleibt, zeigt Einsatz.
Doch unter der glänzenden Oberfläche des „Machens“ wächst etwas anderes: Erschöpfung und das leise Gefühl, nie genug zu sein.

Wir arbeiten um zu leben, und leben, um besser zu arbeiten.

Das Ideal der ständigen Leistung

Anstatt von 4 – Tage Woche, Mindestlohnerhöhung und Work – Life Balance sprechen wir nun also wieder von der faulen Bevölkerung. Kanzler Merz wirbt für Mehrarbeit, da ansonsten der Wohlstand unseres Landes in Gefahr ist. (Trotz BIP Platz 3 & dass die schwindende Wettbewerbsfähigkeit m.E. eher ein Struktur- und Politikproblem statt ein Fleißproblem ist, aber dies ist ein anderes Thema) Dabei scheint der Wert des Menschen wieder daran gemessen zu werden, wie viel er leistet und wie er lebt.
Das Narrativ der „Leistungsgesellschaft“ hat sich längst in unsere Sprache, unseren Alltag und selbst in unsere Selbstwahrnehmung eingeschrieben. Müde zu sein ist normal geworden, überlastet zu sein fast schon ein Statussymbol.

Und dann wird auch selbst Entspannung und Gesundheit zum Wettbewerb und wir vergleichen uns darin, wer die beste Morgenroutine und das bewussteste Leben hat. Achtsamkeit wird zur Aufgabe, Selbstfürsorge zum Punkt auf der To-do-Liste. Statt uns zu erholen, optimieren wir unsere Erholung – effizient, vergleichbar, messbar.

Vielleicht liegt genau hier das eigentliche Paradox: Wir versuchen, Entschleunigung in denselben Strukturen zu leben, die uns überfordern. Wir suchen Ruhe, ohne stillzustehen.

Vom Fortschritt zur Überforderung

Der Soziologe Hartmut Rosa spricht von gesellschaftlicher Beschleunigung – einem Prozess, der längst alle Lebensbereiche durchdrungen hat. Kommunikation, Transport, Arbeit, Alltag – alles wird schneller und muss immer effizienter werden.
Wir leben in einer Zeit, in der kaum noch etwas einfach geschieht, sondern alles „funktionieren“ muss.

Nachrichten erreichen uns in Sekunden, Termine reihen sich ohne Abstand aneinander, und selbst der Weg von A nach B wird auf Optimierung geprüft. Vielleicht kann ich ja auf der Fahrt dorthin eine neue Sprache lernen oder Telefonate führen. Fortschritt, so scheint es, bedeutet heute vor allem, Zeit zu sparen – doch niemand weiß, wofür.

Wir verlieren Resonanz zu dem, was wir tun.
Dinge, die uns früher erfüllt haben, fühlen sich plötzlich flüchtig an. Gespräche werden zu Informationsaustausch, Arbeit zu Selbstrechtfertigung. Und irgendwo dazwischen bleibt das Gefühl, ständig hinterher zu sein – dem eigenen Leben, den Erwartungen, der Zeit.

Vielleicht ist das eigentliche Problem nicht, dass alles schneller wird – sondern dass wir vergessen haben, wie sich Langsamkeit anfühlt.

Alles wird zu viel

Informations – Overload

Wir leben in einer Dauerflut aus Nachrichten, Krisen und Trends. Schlagzeilen, Meinungen, Emotionen prasseln in Minuten auf uns ein. Wir wissen mehr denn je, aber fühlen immer weniger. Die ständige Informationsflut überfordert unser System. Zwischen Empörung und Mitgefühl, Dringlichkeit und Ohnmacht bleibt kaum Raum, um etwas wirklich zu verarbeiten. Wir scrollen, statt zu verdauen. Wir konsumieren, statt zu verstehen.

Mit der Zeit stumpfen wir ab. Nicht, weil uns die Dinge egal wären, sondern weil kein Mensch endlos fühlen kann. Empathie und Fokus werden zur Herausforderung – Rückzug, Zynismus, Rastlosigkeit oder Gleichgültigkeit+ zur Reaktion. So entsteht eine neue Form der Erschöpfung: nicht körperlich, sondern emotional. Und vielleicht ist das der lautlose Preis unserer ständigen Verbundenheit – dass wir alles sehen, aber kaum noch etwas wirklich berühren kann.

Der Verlust von Leerlauf und Zwischenräumen

Natürliche Pausen die durch warten, Langeweile und analogen Tätigkeiten entstehen verschwinden immer mehr. Jede auch noch so kleine Leerstelle wird gefüllt, sei es der Podcast beim spazieren gehen, dass scrollen im Wartezimmer oder die Serie beim essen.
Ich ertappe mich selbst immer wieder, wie ich nicht einmal eine Minute vor der Mikrowelle warten kann ohne unruhig zu werden und mir eine Beschäftigung zu suchen. Manchmal werde ich kurz panisch, wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin und meine Kopfhörer vergessen habe. Was soll ich denn jetzt die 30 Minuten auch machen? Fahrrad fahren etwa? Und zwar nur das?
Doch Leerlauf ist entscheidend für unsere Kreativität, Regeneration und emotionale Balance. Und so geht unsere innere Ruhe ganz nebenbei verloren.

Eine Gesellschaft im Dauerrausch

Wenn ich Stichpunkte für unsere heutige Gesellschaft finden müsste, dann wären dies definitiv: chronische Müdigkeit, Reizbarkeit, Erschöpfung und Sinnleere. Wir Menschen funktionieren, fühlen uns aber innerlich leer. Und so werden einst schöne Feste, wie das Weihnachtsfest, bei dem sich die ganze Familie wieder einmal sieht, zu logistischen Projekten. Zwischen überfüllten Einkaufszentren, perfekt inszenierten Mahlzeiten und dem Druck, Harmonie herzustellen, verlieren wir oft das, was wir eigentlich feiern wollten – Nähe, Ruhe, Verbindung.

Urlaube, die eigentlich Erholung bringen sollen, werden zu Projekten voller Planung, Organisation und Erwartungen. Statt zu entspannen, hetzen wir durch Sehenswürdigkeiten, posten Eindrücke und kommen müder zurück, als wir losgefahren sind.

Auch das Wochenende, einst Synonym für Pause und Durchatmen, ist heute kaum mehr als eine verlängerte To-do-Liste. Haushalt, soziale Verpflichtungen, kleine Erledigungen – und schon ist wieder Montag

tiefe Leere, Wer sind wir?

Wir leben in einem Zustand ständiger Reizung – immer ein wenig zu laut, zu viel, zu schnell. Selbst Freude fühlt sich manchmal an wie eine Aufgabe, die erfüllt werden muss.
Das Leben ist voll, aber selten erfüllt.

Vielleicht liegt darin der eigentliche Widerspruch unserer Zeit: Wir haben Zugang zu allem – Wissen, Möglichkeiten, Menschen – und doch scheint uns etwas Wesentliches zu entgleiten. Das Gefühl, wirklich da zu sein.

Zurück zum Wesentlichen

Entschleunigung bedeutet nicht, die Welt anzuhalten. Es bedeutet, wieder bewusst in ihr zu sein.
Nicht mehr, aber echter. Nicht schneller, sondern tiefer.

Wir müssen lernen, Leerlauf wieder zuzulassen – die Momente, in denen nichts passiert, außer dass wir atmen, schauen, spüren. In einer Welt, die uns ständig fordert, ist das kein Stillstand, sondern Bewusstsein.

Grenzen zu setzen wird zu einer Form der Selbstachtung.
Zu wissen, wann genug ist. Wann der Laptop zu bleibt, das Handy leise wird, die Gedanken sich ordnen dürfen.

Und vielleicht ist das die eigentliche Lektion unserer Zeit: nicht alles zu tun, nur weil es möglich ist.
Denn Sinn entsteht nicht im Mehr, sondern im Bewussten.
Im Mut, das Tempo zu verlieren – und uns selbst dabei wiederzufinden.

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